Der Kampf um Cannabis als Medizin
„Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit“ lautet Art. 2 Abs.2 Satz 1 unseres Grundgesetzes. Und das oberste ärztliche Prinzip „nihil nocere“ – niemand darf durch die Behandlung an seiner Gesundheit geschädigt werden – gilt unbedingt auch für staatliche Grundrechtseingriffe. Im Übrigen gilt für die Exekutive und ihre Behörden das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 20 Abs.3 GG. Diese basalen Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats scheinen infrage gestellt, wenn es um die Behandlung von Krankheiten oder auch nur um die Linderung von Schmerzen mittels des Cannabis-Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (chemisch: Delta 9-THC) geht. Was ist geschehen?
Zur Veranschaulichung der Fall Ute K. (52 J.): 1986 wird ein Unterleib-Carzinom festgestellt, dessen Bestrahlung schwere Verletzungen innerer Organe hervorruft. Bei einer Operation kommt es zudem zu einer Leberschädigung durch eine mit Hepatitis B verseuchten Blutkonserve, so dass sie kein herkömmliches Schmerzmedikament mehr verträgt. Sie leidet seither permanent an unerträglichen Schmerzen und wird von einer Spezialklinik in die nächste überwiesen. Keine der üblichen, schulmedizinisch anerkannten Schmerztherapien hilft. Sie war letztlich schlaflos, apathisch, suizidal. Im Jahre 2000 findet ein Arzt das geeignete Medikament für sie: Dronabinol, der aus der Cannabispflanze gewonnene Wirkstoff THC, lässt sie schon nach zwei Wochen schmerzfrei werden. Das Mittel hilft nicht allen, aber vielen Schmerzpatienten, hat keine Nebenwirkungen und macht nur extrem selten psychisch abhängig.
Eineinhalb Jahre lang zahlt die gesetzliche Krankenkasse (GKV) für das Medikament monatlich etwa 1.200, dann wird die weitere Kostenübernahme mit der Begründung verweigert, nicht alle herkömmlichen Therapiemöglichkeiten seien ausgeschöpft und für Dronabinol lägen weder eine arzneimittelrechtliche Zulassung noch eine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vor. Sie wird auf Psychotherapie verwiesen. Trotz fachärztlichen Gutachten und Stellungnahmen, welche die Indikation und Wirtschaftlichkeit von Dronabinol belegen, lehnen die GKV und in der Folge das Sozialgericht die Kostenerstattung weiterhin ab, obwohl sich nach informierten Schätzungen jährlich etwa fünftausend Schmerzpatienten das Leben nehmen, weil sie ihr Leiden physisch und psychisch nicht mehr ertragen. Inzwischen hat sich aber herumgesprochen, dass Tausende Schmerzpatienten erfolgreich, aber illegal Cannabis konsumieren. Frau K. beschließt nun trotz des Strafbarkeitsrisikos die Pflanzen selbst anzubauen. Auf ihre Selbstanzeige bekommt sie zunächst einen Strafbefehl über 537 Euro bzw. nach Zahlungsverweigerung eine gerichtlich zur Bewährung ausgesetzte Mindestgeldstrafe von 200 Euro. Es stellt sich heraus, dass private und einige gesetzliche Krankenversicherungen die Dronabinol-Medikation in „begründeten Einzelfällen“ längerfristig finanzieren.
Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht am 6. Dezember 2005 (AZ: 1 BvR 347/98) geurteilt, dass die GKV im Einzelfall unter folgenden Voraussetzungen auch die Kosten für arzneimittelrechtlich nicht zugelassene Medikamente erstatten müssen:
Die Entscheidung beruht auf einer Abwägung widersprüchlicher Rechtsauffassungen: einerseits verbietet das V. Sozialgesetzbuch den gesetzlichen Krankenkassen die Kostenerstattung für arzneimittelrechtlich nicht zugelassener Medikamente bzw. nicht anerkannter Therapien und Heilmethoden. Andererseits haben die Patienten einen grundgesetzlich garantierten Anspruch auf körperliche Unversehrtheit. "Übernimmt der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Mindestversorgung." Das Urteil hebt die widersprüchliche Rechtslage zwar nicht auf, stellt aber klar, dass Patienten haben unter formulierten Voraussetzungen einen über die gesetzlichen Bestimmungen des V. Sozialgesetzbuches hinausgehenden Anspruch auf Kostenerstattung durch die GKV haben.
Dem hat sich mit Urteil vom 4.4.2006 (AZ: B 1 KR 7/05 R) nun auch das Bundessozialgericht angeschlossen. Für die Sozialgerichte bedeutet das: Sie können jetzt nicht mehr jede Klage auf Kostenerstattung für arzneimittelrechtlich nicht zugelassener Medikamente und Behandlungen mit dem Hinweis auf SGB V ablehnen, sondern sie müssen prüfen, ob der Patient die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen erfüllt.
Seither nimmt zwar die Bereitschaft der GKV zu, solche Behandlungen zu finanzieren. Auch tendieren die unteren Sozialgerichte deutlich eher zur Bejahung entsprechender „Grenzfälle“. Das Problem für sehr viele Patienten, die unter schweren Schmerzzuständen oder einer Reihe von anderen Krankheiten leiden, ist damit jedoch nicht erledigt. In den meisten Fällen lehnen die GKV die Kostenerstattung für die Behandlung mit Dronabinol oder ähnlichen Präparaten nämlich weiterhin ab. Gegen diesen Bescheid muss fristgerecht schriftlicher Widerspruch eingelegt werden. Diesem müssen ärztliche Gutachten und Stellungnahmen beigefügt werden, die belegen, dass alle herkömmlich anerkannten Therapien ausgeschöpft sind und dass nur durch ein bestimmtes Medikament eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Behandlungserfolg besteht oder das Medikament „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ zumindest eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf haben wird. Erst nach erneuter Ablehnung kann das Sozialgericht eingeschaltet werden, und zwar zunächst mit Antrag auf einstweilige Anordnung und anschließender Klage. Der Antrag auf einstweilige Anordnung kann zwar eine richterliche Vorabentscheidung hinsichtlich der Kostenübernahme erbringen. Voraussetzung ist aber, dass der ablehnende Bescheid der GKV offensichtlich rechtswidrig ist, z.B. wenn der Patient auf eine therapeutische Alternative verwiesen wird, von der man schon weiß, dass sie ihm nicht hilft. Zweitens muss dem Patienten nicht zuzumuten sein, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, weil beispielsweise irreversible Schäden drohen. Meist prüfen die Richter bereits im Vorverfahren anhand der medizinischen Gutachten sehr genau, ob der Patient einen Anspruch auf das Medikament hat, müssen sie doch davon ausgehen, dass die GKV die vorab erstatteten Kosten für das Medikament vom Patienten zurückverlangen können. Allerdings ist solch ein Fall bisher nicht bekannt geworden, denn eine solche Rückforderung könnte für schwerstkranke Patienten den nicht nur finanziellen Ruin bedeuten. Im Übrigen kann schon das erstinstanzliche sozialgerichtliche Klageverfahren kann wegen der Überlastung der Sozialgerichte sehr lange dauern und sollte jedenfalls unter anwaltlicher Vertretung erfolgen.
Angesichts dessen werden die Kranken weiterhin in unzumutbarer, Grundrechte verletzender Weise ins Dickicht von Betäubungsmittelstrafrecht, Sozialrecht, Arzneimittelrecht und Verwaltungsrecht verstrickt. Dabei tut sich insbesondere das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in geradezu kafkaesker Weise hervor.[1]
Sozialrechtlich verläuft die Frontlinie weiterhin bei der Definition und Subsumtion der besonderen Voraussetzungen im Einzelfall. Das Zusammenspiel von restriktiver Begriffsauslegung, Bestreitung des Sachverhalts und Verweis auf den beschwerlichen Rechtsweg resultiert in faktischer Willkür: Schmerzpatienten und andere Leidende können nicht jahrelang auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts warten. Sie können die extrem hohen Kosten für Dronabinol nicht selbst aufbringen und möchten deshalb auf den natürlichen, in der illegalen Droge Cannabis enthaltenen Wirkstoff Delta-9-THC rekurrieren.
Also werden die Patienten regelrecht in die strafrechtliche Arena von Schwarzmarkt und Strafverfolgung getrieben: Erwerben, besitzen, anbauen von Cannabis zum Eigengebrauch. Die allzu restriktive Entpönalisierungsvorgabe des Bundesverfassungsgerichts von 1994[2] greift hier nicht: Die Patienten sind keine „Gelegenheitskonsumenten“ sondern benötigen das Medikament über längere oder unabsehbare Zeiträume kontinuierlich; sie konsumieren unter Umständen auch in der Öffentlichkeit oder unter Beobachtung von Minderjährigen, also kann wegen der Gefahr der Ansteckungswirkung das „öffentliche Interesse“ nicht ausgeschlossen werden; und schließlich besitzen sie in der Regel nicht nur kleine Mengen, sondern halten sich vorsorglich mehr oder minder große Mengen als Vorrat, um angesichts der Unkalkulierbarkeit des Schwarzmarktes die Kontinuität der Medikation gewährleisten zu können. Auf Tatbestandsebene sind sie damit häufig im Bereich der „nicht geringen Menge“, theoretisch also gem. § 29a Abs. 1 Nr.2 BtMG wegen der vom Gesetzgeber im Sinne der „abstrakten Gefährdungsdelikte“ gemutmaßten besonderen „Fremdgefährdung“ im Verbrechensstrafrahmen von 1 bis 15 Jahren.
Folgerichtig bleibt lediglich der Ausweg einer Rechtfertigung dieser tatbestandlichen „schwer wiegenden Straftat“ nach der Notstandsvorschrift des § 34 StGB. Immerhin hat das OLG Karlsruhe bereits im Jahre 2004 [3] letztinstanzlich mutig entschieden, dass dieser Weg gangbar ist – wiederum unter recht restriktiven Voraussetzungen: neben dem gemäß § 34 StGB erforderlichen Vorliegen einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahrenlage für ein anerkanntes Rechtsgut, wie etwa Leib und Leben, muss sich das zur Gefahrenabwehr eingesetzte Mittel ‑ hier: die Einnahme von Cannabis ‑ überhaupt zur Gefahrenabwehr eignen und es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Für die Annahme einer solchen Eignung sei zwar nicht erforderlich, dass dieses Mittel die Gefahrenlage sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließe, vielmehr reiche es aus, dass die erfolgreiche Abwendung des Schadens „nicht ganz unwahrscheinlich“ sei. Dies müsse im Einzelfall krankheitsspezifisch nachgewiesen werden. Auch erfordere eine Rechtfertigung aus Notstandsgesichtspunkten, dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse (Leib und Leben des Angeklagten) das beeinträchtigte (Gesundheit der Bevölkerung) wesentlich überwiege. Dazu müssen das Vorliegen und das Ausmaß der Beeinträchtigungen in den einzelnen Funktionsbereichen beim Angeklagten konkret dargelegt werden.
In strafrechtlicher Hinsicht besteht also angesichts der Auslegungsspielräume der Rechtsbegriffe und Sachverhalte für Patienten mit medizinischer Cannabis-Indikation keinerlei Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit: Sie laufen permanent Gefahr, strafrechtlich in nicht unerheblichem Maße verurteilt zu werden und hängen mehr oder weniger von der Gnade von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten ab.
Alle Versuche, dieser misslichen Situation durch Geltendmachung einer Grundrechtsverletzung zu entrinnen, sind bislang fehlgeschlagen – und hier wird es kafkaesk.
Mit Beschluss vom 20. Januar 2000 ‑ Az. 2 BvR 2382 ‑ 2389/99 hat nämlich die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe durch die die im Dezember vom Verfasser im Namen von acht Beschwerdeführern eingelegte erste derartige Verfassungsbeschwerde entschieden. Es ging um das Bemühen von u.a. an Multipler Sklerose, Hepatitis und anderen schweren Krankheiten leidenden Patienten, zur Linderung ihrer Leiden mit Cannabisprodukten behandelt werden zu dürfen, ohne strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zwar aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft sei. Es hat aber durch die Vorgabe einer bestimmten Rechtsauslegung einen Weg eröffnet, der nach bisheriger Auslegungspraxis der Verwaltung und der Gerichte verschlossen war. Bisher wurde eine nach § 3 Betäubungsmittelgesetz möglichen Ausnahmeerlaubnis einer solchen Behandlung durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (Berlin) abgelehnt, weil Einzelbehandlung nicht „wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ diene. Nunmehr stellte das BVerfG fest, dass auch eine individuelle Behandlung im Rahmen der medizinischen Versorgung der Bevölkerung ein „öffentliches Interesse“ begründe und damit die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen könne. Auch für die Fälle von Selbstmedikation außerhalb ärztlicher Behandlung zeigt das BVerfG einen Weg auf: Ein Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen polizeiliche oder staatsanwaltliche Ermittlungen gemäß § 23 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz könne Patienten vor den Unannehmlichkeiten eines Ermittlungsverfahrens bewahren.
Seither hat das Bundesverfassungsgericht hat mehrere weitere Verfassungsbeschwerden aus denselben formalen Gründen abgewiesen bzw. wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. In einem 2005 abgewiesenen Fall litt der Beschwerdeführer aufgrund eines Motorradunfalls, der zu einer Schwerbehinderung von 80 Prozent geführt hatte, an Schmerzen im linken Arm und Bein. Bei einer Einreise aus den Niederlanden führte er auf ärztliche Empfehlung Haschischöl und Marihuana mit sich, welche er zur Linderung seiner Schmerzen konsumieren wollte. In dem entsprechenden Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats heißt es zur Begründung erneut: Soweit die Verfassungsbeschwerde mit der Notwendigkeit einer medizinischen Heilbehandlung begründet sei, sei der Rechtsweg nicht erschöpft: „Der Beschwerdeführer hätte zunächst versuchen müssen, auf der Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes eine Ausnahmeerlaubnis zum straffreien Konsum für eine medizinisch notwendige Behandlung mit Cannabisprodukten zu erlangen.“[4].
Die Rechtsprechung des BVerfG erschien trotz der Abweisung wegen Unzulässigkeit zunächst einmal als Durchbruch, weil die Verfassungsrichter damit grundsätzlich die Möglichkeit einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs.2 BtMG zu eröffnen schienen. In Hunderten von Fällen stellten nun Schmerzpatienten und andere an diversen Krankheiten Leidende mit entsprechender ärztlicher Diagnose und Indikationsstellung beim zuständigen Bundesinstitut den Antrag auf Erteilung einer derartigen Ausnahmegenehmigung. Das BfArM lehnte diese jedoch sämtlich pauschal ab mit der Begründung, die erstrebte Behandlung verfolge keinen wissenschaftlichen oder sonst im öffentlichen Interesse liegenden Zweck. Am öffentlichen Interesse fehle es insbesondere, weil mit Dronabinol ja ein im Gegensatz zum natürlichen Cannabis den Erfordernissen von Sicherheit und Kontrolle des BtM-Verkehrs genügendes Medikament erhältlich sei. Außerdem wird die Illegalität der Droge im Hinblick auf deutsches und internationales Drogenrecht angeführt.
Daraufhin klagte einer der Abgewiesenen im Jahre 2000 vor dem Verwaltungsgericht gegen den Bescheid des BfArM und auf Erlaubnis nach § 3 Abs.2 BtMG. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, so dass das BVerwG als Sprungrevisionsinstanz zu entscheiden hatte. Mit Urteil vom 19.05.2005 (Az. 3 C 17.04) entschied das BVerwG, dass die Ausnahmeerlaubnis nicht mit der Begründung abgelehnt werden dürfe, die Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse. Zwar gebe es keinen legitimen wissenschaftlichen Zweck, jedoch folge sie – und darin folgt das BVerwG wiederum der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BVerfG – dem in § 5 Abs.1 Nr.6 BtMG angesprochenen Gesetzeszweck, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. § 5 Abs.1 Nr.6 konkretisiert somit das subjektive Recht aus Art.2 Abs.2 S.1 GG und das in Art.1 GG zum Ausdruck gebrachte Menschenwürdeprinzip [5] Der fehlende Wirksamkeitsnachweis sei kein Ablehnungsgrund, lediglich der Nachweis der mangelnden therapeutischen Wirksamkeit. Dies ergebe sich aus § 25 Abs.2 Nr.4 Arzneimittelgesetz (AMG), welcher „eine gänzlich andere Funktion“ habe als das Einzelfallverfahren nach § 3 Abs.2 BtMG. Im Übrigen sehe auch das UN-Einheitsabkommen von 1961 in Art. 21 Abs.1a, Art.30 Abs.1c und Art.32 vor, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden solle.
Aufgrund dieser Entscheidung sah sich das BfArM nunmehr genötigt, die Anträge differenzierter zu bescheiden, also die Erlaubnisvoraussetzungen genau zu prüfen. Beispielhaft für das gesetzeswidrige Verhalten des BfArM ist der folgende Einzelfall des Herrn S. Auf seinen im November 2005 gestellten - vom BfArM übrigens schleppend und unter Überschreitung der Bescheidungsfrist gem. § 8 Abs.1 S.1 BtMG bzw. § 75 VwGo bearbeiteten – Antrag erhielt er am 05.07.2006 einen siebenseitigen Bescheid. Dieser enthält eine Liste von Voraussetzungen, die Herr S. bis 31.08.2006 erfüllen sollte um die Erlaubnis zu erhalten. „Großzügig“ wurde ihm wegen der Aufwändigkeit dieser Auflagen Fristverlängerung bis Ende Februar 2007 gewährt.
Die Liste orientiert sich zu einen an § 5 Abs.1 Nr.1-5 und §§ 6 – 9 BtMG.
-
Benötigte Jahresmenge und „Beschreibung des Herstellungsganges“ der Konsummmenge
-
Beschreibung der Aufbewahrungsräumlichkeiten gemäß den beigefügten „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von BtM-Vorräten“, z.B. „Wertschutzschränke“ oder „Wertschutzraumtüren mit einem Widerstandsgrad III oder höher nach EN 1143-1“; „Klinkermauerwerk in einer Stärke von 115 mm mit Baustahlgewebe verbunden, ggfls. mit Stahlbeton verstärkt“; „Elektrische Überwachung und Alarmierung“.
-
Namen u. Anschrift des Cannabis Abgebenden, der nach AMG zum Inverkehrbringen von Cannabis berechtigt sein und eine btm-rechtliche Erlaubnis zur Abgabe beantragen müsste; ggfls. eine entsprechende Importgenehmigung gem. § 11 BtM.
-
Im Falle des Anbaus von Cannabis Angaben zur Anbausorte und Bezugsquelle, genaue Beschreibung der Anbaufläche und der Sicherungsmaßnahmen gegen Entwendung sowie Beschreibung des Ernet- und Trocknungsvorganges.
-
Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis zum Umgang mit BtM gem. § 6 BtMG.
Zum anderen werden ein „aussagekräftiges Gutachten Ihres behandelnden Arztes“ zu den oben genannten, vom BVerfG aufgestellten Kriterien und eine Bescheinigung der Krankenkasse über die Ablehnung der Kostenübernahme für Dronabinol verlangt.
Informell teilte Herr S. mir noch folgendes mit: Anlässlich einer telefonischen Nachfrage beim BfArM sei es zu einem denkwürdigen Gespräch und nachfolgendem Email-Wechsel mit einem Dr. Schinkel gekommen. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass es wohl weder - kurz- noch -mittelfristig jemals zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung kommen werde. Begründet wurde dies mit Erkenntnissen der WHO, welche Cannabis keinesfalls als "Therapeutikum" bestätigt sehe. Daneben habe Dr. Schinkel geltend gemacht, dass das BTMG geändert werden müsse um diese Erlaubnis überhaupt erteilen zu können. Er könne es sich ersparen, Geld für Wohnungsumbauten auszugeben da es selbst bei Erfüllung der Auflagen keine Genehmigung für Privatleute geben könne. Dr. Schinkel habe bestritten, dass das Regelwerk des § 5 BtMG eigentlich für Kommerzbetriebe bestimmt sei.
Dass die dem Antragsteller auferlegten Vorkehrungen absurd sind, weil sie von einem behandlungsbedürftigen Privatmann nicht eingehalten werden können, liegt auf der Hand. Damit steht jetzt schon fest, dass es zur Ablehnung kommen muss. Es handelt sich nämlich um allgemeine Voraussetzungen für die Erlaubnis zum Verkehr mit BtM. Diese sind lediglich für die reguläre Erlaubniserteilung zum Umgang mit BtM nach § 3 Abs.1 BtMG, keineswegs jedoch für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs.2 BtMG geltend zu machen. Denn es handelt sich ja um eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme von diesen Erfordernissen, ansonsten hätte es dieser Ausnahmeregelung für Einzelfälle logischer Weise gar nicht bedurft.
Diese Leviten hat das BVerwG dem BfArM, belegt auch mit einschlägiger Kommentarliteratur, bereits gelesen. Aber offenbar hat man dies im BfArM nicht verstanden oder verstehen wollen, obwohl die Direktorin des BfArM und Leiterin der hierfür zuständigen Opium-Stelle Bearbeiterin eines Kommentars zum Betäubungsmittelrecht ist. Offenbar verführt die Macht einer Bundesbehörde, die Unbeeinflussbarkeit der höheren Bürokraten, auch in diesem Falle zu Größengefühlen und einer gewissen Verselbständigung gegenüber gesellschaftlicher und juristisch-dogmatischer Realität. Das wäre nicht der erste ‑ und mutmaßlich auch nicht der letzte ‑Skandal in diesem Hause. Wurde doch die Vorgänger-Institution, das Bundesgesundheitsamt (BGA) aufgrund der 1993 aufgetretenen Verdachtsfälle von HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte und der dabei erkannten Abstimmungsproblemen und Pflichtverletzungen durch das am 1.7.1994 in Kraft getretene Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz (GNG) grundlegend umustrukturiert bzw. aufgelöst und in drei Nachfolgeinstitutionen überführt: Das BfArM in Bonn, das Robert Koch-Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten sowie das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, beide Berlin.
Die offenkundige Rotzigkeit, ja geradezu Hohn und Zynismus, mit denen Mitarbeiter des BfArM hilfsbedürftige Antragsteller abfertigen, legt die Vermutung nahe, dass hier Drogenpolitik mit anderen Mitteln getrieben wird: Die Interpretation „Wir wollen das einfach nicht und werden es verhindern – egal wie!“ wird ebenso nahe gelegt wie diejenige einer gewissen Überheblichkeit und Verachtung gegenüber den Kranken, die vermutlich unterschwellig mit Junkies gleichgesetzt werden, welche das edle Bundesinstitut nur für ihre schmutzige Sucht missbrauchen wollen. Von der eigentlichen Verantwortung im Sinne Art. 2 Abs.2 GG keine Spur. Das fügt sich ein in den modischen neo-liberalen Zeitgeist der Ausgrenzung von Unangepasssten und Dysfunktionalen sowie des Abschieds von substantieller Rehabilitation und sozialer Integration. Rechtlich gesehen handelt es sich jedenfalls – verwaltungsrechtlich gesehen ‑ um einen Fall von eklatantem Ermessensfehlgebrauch aus sachfremden Erwägungen, dem höchst wahrscheinlich vom Verwaltungsgericht Einhalt geboten werden wird.
Aber wie kann es weiter gehen? Selbst wenn das BfArM kraft Verwaltungsgerichtsentscheid seine Ignoranz aufgeben und einlenken sollte und entsprechend dem Verfassungsprinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs.3 GG) mittels Ausnahmeerlaubnis gem. § 3 Abs.2 BtMG endlich pflichtgemäßen Ermessensgebrauch praktizieren würde, bliebe die Situation für die Schmerzpatienten und Kranken prekär. Denn in jedem Einzelfall muss spezifisch über die vom BVerfG und BVerwG aufgestellten rechtlichen Voraussetzungen entschieden werden. Das bedingt jedes Mal ein aufwändiges Procedere, möglichst unter Kooperation von Anwalt, Gutachter und Gericht. Zwangsläufig folgen daraus voraussichtlich nicht wenige Fälle, die wiederum in jahrelangen Verfahren bis zum BVerwG oder gar BVerfG getrieben werden müssen. Zwar kann man auf eine gewisse Stabilisierung der Auslegungspraxis hinsichtlich dieser Kriterien hoffen, so dass sich der Ermessensspielraum des BfArM verringert. Auf „Null“ wird er sich aber, so wie die Verwaltungspraxis aussieht, nicht reduzieren lassen.
Jedenfalls bleiben aber auch die anderen beiden Arenen – Sozial- und Strafrecht - weiterhin aktuell. Dieses Rechts-Chaos trägt sicher nicht zu Heilung und Wohlbefinden der Leidenden bei. Es müssen menschenwürdige, willkürfreie, patientenfreundliche und effektive Lösungen gesucht werden, welche nachhaltige Abhilfe gegenüber diesen Missständen schaffen.
Immerhin schrieb die Bundesminsterin für Gesundheit in ihrem „Sucht- und Drogenbericht 1999“ hinsichtlich des Themas „Cannabis als Medizin“ u.a.: „Das Bundesministerium für Gesundheit unterstützt alle Bemühungen, die darauf abzielen, die Möglichkeiten des Arzneimittelgesetzes praxisgerecht auszuschöpfen.“ Und verschiedentlich fanden auf Anfragen hin im Bundestag Diskussion zu diesem Thema statt.[6] Als klarste und qualitativ beste Lösung bietet sich an, Cannabis von der Anlage I zu § 1 Abs.1 BtMG – Nicht verkehrsfähige BtM – in Anlage III – Verkehrs- und verschreibungsfähige BtM – oder zumindest in Anlage II – Verkehrsfähige BtM ‑ umzustufen. Dann könnte die Pharma-Industrie sich daran machen, den Kriterien der Arzneimittelzulassung gem. AMG genügende Zubereitungen und Standardisierungen zu entwickeln. Das würde wegen der dann möglichen offenen und klaren Möglichkeiten umfassender Information die Risiken des Missbrauchs insbesondere auch für Jugendliche erheblich mindern. Angesichts der nach wie vor sehr restriktiven Drogenpolitik und der von den Medien geschürten, tatsächlich aber unbegründeten hysterischen Angst vor hirnschädigenden Auswirkungen angeblich „hochgezüchteter“ Cannabis-Sorten wird es dazu aber wohl auf absehbare Zeit nicht kommen. Vermutlich wird sich auch dagegen das gem. AMG für die Sicherheitsprüfung von neuen Medikamenten zuständige BfArM stemmen.
Bezeichnend dafür ist auch folgender Verlauf: Die 1994 gegründete Münchener Firma Süd-Hanf GmbH organisierte mit Genehmigung der Bundesopiumstelle 1995 und wissenschaftlicher Begleitung in Bayern den ersten freigewerblichen Faserhanfanbau in Deutschland. 1996 entwickelte sie ein Behandlungskonzept für AIDS-Patienten. Obwohl sich seriöse Partner, wie der Botanische Garten in München und die Naturheilmittel-Firma WELEDA AG beteiligten wurde dieses von der Bundesopiumstelle (BfArM) jedoch abgelehnt. Nach dem oben erwähnten Urteil des BVerfG von 2000 interessierten einige deutsche Pharmaunternehmer neuerlich für die Thematik und die Firma Merck beschloss Dronabinol sowie einen natürlichen Cannabis-Extrakt auf den Markt zu bringen, wofür die Süd-Hanf GmbH den kontrollierten Rohstoff liefern sollte. Sie erhielt zwar im Oktober 2000 vom BfArM sogar die Erlaubnis nach § 3 Abs.2 BtMG für den Anbau und die Abgabe von Drogenhanf für wissenschaftliche Erstversuche. Fristgerecht wurde im Mai 2001 qualitativ hochwertiges Pflanzenmaterial an die Firma Merck für erste Extraktionsversuche sowie für die Erstellung einer Monographie über Cannabis an den Deutschen Arzneimittel Codex (DAC) geliefert. „Wegen der nicht gesicherten Abgabewege“ entschied sich Merck dann aber zur Aufgabe des Projekts: weitere erforderliche Erlaubnisse waren vom BfArM nicht erteilt worden.
Hoffen kann man darauf, dass sich die allmähliche Reduzierung des Ermessensspielraums des BfArM, welche durch ständige Verwaltungsrechtsprechung entstehen dürfte, in Richtung Legalisierung auswirkt. Rechtstheoretisch kann gut gezeigt werden, dass mehrere hoch relevante Reformen im BtM-Recht „von unten“ initiiert wurden, also auf Aktivitäten beruhten, welche sich zuvor für längere Zeit in proto-legalen Grauzonen bewegt hatten: z.B. Methadonbehandlung, Spritzenvergabe, Gesundheitsräume. Ein Vorschlag in dieser Richtung stammt vom renommierten BtMG-Kommentator Körner[7]: Durch Einfügung eines neuen § 31b BtMG soll der Schutz vor Verfolgung bei Vorliegen einer medizinischen Empfehlung oder Verschreibung von Cannabis gesetzlich festgelegt werden. Voraussetzung dafür wäre, dass es sich bei der illegalen Substanz um überprüfbar gute Qualität handelt. Dazu müsste eine Liste von Indikationen erstellt werden, bei denen Ärzte eine ärztliche Empfehlung ausstellen dürfen. Es müsste weiter entsprechend der ärztlichen Empfehlung eine Höchstmenge festgelegt werden, mit der der Umgang geduldet ist. Vom Arzt wäre eine Kopie der ärztlichen Empfehlung zu erstellen, die beim Arzt verbleibt, und die ärztliche Empfehlung wäre jährlich zu erneuern. Dieses Konzept wird offenbar auch vom Petitionsausschuss des Bundestages unterstützt.
Auch ohne die strengen Verfahrensvorschriften für die Zulassung von neuen Medikamenten wäre bereits nach aktuell geltendem die Verschreibung von Delta-9-THC möglich. In der Medizin werden tagtäglich tausende Fertigarzneimittel verabreicht, die zwar vom Arzt verordnet werden dürfen, aber keine arzneimittelrechtliche Zulassung haben, so genannte "Off-Label-Use"-Medikamente. In Frage kommen auch die so genannten Rezepturarzneien, bei denen ein Pharmaunternehmen den Wirkstoff produziert und diesen mit der Rezeptur zur Herstellung der Arznei an eine Apotheke liefert. Diese stellt dann das Medikament her, zum Beispiel in Form von Tropfen, Kapseln oder Salben. Dronabinol ist solch eine Rezepturarznei. Sie kann aus dem Ausland importiert oder legal in Deutschland chemisch nur aus Nutzhanf hergestellt werden. Wegen des äußerst geringen THC-Wirkstoffgehalts von Nutzhanf ist dieses Verfahren extrem teuer –daher das Sträuben der GKV gegen monatliche Kosten von ca. € 250, in Einzelfällen bis zu € 1200 (ca. 80 Cent pro 1 Milligramm). Bei Verwendung von normalerweise bis zu 10% THC enthaltendem illegalem Cannabis, könnte die Herstellung wesentlich billiger sein.
Der Wirkstoff in Dronabinol ist ein THC Molekül, das aus der Cannabispflanze gewonnen wird. Die Arznei wird vor allem bei Patienten eingesetzt, die herkömmliche Opiate, wie zum Beispiel Morphium, nicht vertragen. Zu erinnern gilt im Übrigen: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Cannabis eine ganz legale Medizin. Zwischen 1880 und 1900 enthielt die Hälfte aller Schmerzmittel in Europa Extrakte aus Hanf. In der traditionellen chinesischen und indischen Medizin fand Cannabis Verwendung bei nervösen Verstimmungen, bei Schlaflosigkeit, Erbrechen und Entzündungen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurden Cannabis und cannabishaltige Arzneien in Deutschland verboten und erst seit 1998, nachdem die vielfältigen medizinischen Indikationen nicht mehr bestritten werden konnten[8], ist wenigstens der Wirkstoff Dronabinol wieder verschreibungsfähig.[9]
Unbestritten ist die bei medizinischem Gebrauch „unbeabsichtigte Nebenwirkung“: Je nach Dosierung leichte psychoaktive Wirkungen und je nach Persönlichkeitsstruktur gegebenenfalls auch Abhängigkeit. Beides ist noch nicht gut erforscht. Bei hedonistischem Gebrauch von Cannabis zeigt die Forschung, dass es bei ca. 5% der Gebraucher zu Missbrauch und Abhängigkeit kommt. Im Rahmen einer Therapie spielt jedoch das Abhängigkeitspotenzial von Cannabis ebenso wenig eine Rolle wie bei Morphium. Ob ein Wirkstoff abhängig macht hängt eben nicht allein von der Chemie und Darreichungsform ab, sondern auch von den persönlichen und sozialen Kontextbedingungen.
Eine aus strafrechtlicher Sicht legale Alternative eröffnet die seit gut einem Jahr operierende Hanfapotheke.[10] Die Hanfapotheke leitet die Anfrage an einen Vertrauensarzt weiter. Dieser nimmt dann Kontakt mit dem Patienten auf und prüft anhand der ärztlichen Unterlagen und in einem Gespräch die Indikation bzw. Notwendigkeit der Behandlung. Gibt der Mediziner grünes Licht, teilt er dies der Hanfapotheke per E-Mail mit. Diese hat selbst jedoch keinen Hanf vorrätig, sondern tritt lediglich als Vermittlerin auf. Die Hanfapotheke teilt Hanfspendern, die anonym über das Internet mit ihr Kontakt aufgenommen haben, die Adresse des Patienten mit. Der Spender schickt das Marihuana oder Haschisch kostenlos und anonym dorthin. Nachteil für den Patienten: Er kennt die Qualität und Zusammensetzung seiner Medizin nicht. Um dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu entgehen, liegt der Server mit der Hanfapotheke allerdings in der Schweiz, welche die Verwendung von Cannabis zu medizinischem Zwecken zumindest toleriert. Im Falle der Strafverfolgung kann sich der Patient, wie oben beschrieben, auf die Rechtfertigung nach § 34 StGB berufen. Sollte auch der Spender ermittelt werden können, müsste aus strafrechtlich-wissenschaftlicher Sicht gleichfalls § 34 StGB als Rechtfertigung gelten. Dazu gibt es aber noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung.
Bei angemessener Diagnose, Indikationsstellung und Anwendungsempfehlung bzw. –beratung durch niedergelassene Ärzte bleibt entsprechenden Schmerzpatienten und Kranken im Übrigen die Möglichkeit, sich selbst auf dem Schwarzmarkt einzudecken und sich bei eventueller Strafverfolgung mit § 34 StGB zu verteidigen. die oben gekennzeichnete strafrechtliche Unsicherheit bleibt dann aber.[11] Jedenfalls empfiehlt sich für Ärzte eine spezielle Fortbildung, wie sie von der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie angeboten wird.[12]
Zu überlegen wäre schließlich die rechtliche Möglichkeit der Gründung einer Art Anbau-Genossenschaft. Mehrere Schmerzpatienten und andere Kranke, für die eine ordnungsgemäße medizinische Indikation für eine Cannabis-Behandlung gestellt worden ist, könnten sich zusammen tun und gemeinsam gemäß § 5 Abs.1 BtMG in „geeigneten Räumen“ eine „Betriebsstätte“ gründen und mit einem „sachkundigen und zuverlässigen Verantwortlichen“ ausstatten. Eine solche „Erfüllung“ der Anforderungen des § 5 Abs.1 BtMG wird, wie oben gezeigt, rechtsirriger Weise vom BfArM verlangt. Selbst wenn man dieser Sichtweise folgen würde, gälte das aber nur für verkehrsfähige BtM, so dass doch wieder eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs.2 BtMG erforderlich wäre, welche eben nur auf Einzelfallsbasis erteilt werden kann. Dass die höchstrichterliche Verwaltungsrechtsprechung zu einer analogen Anwendung von § 5 Abs.1 BtMG auf illegale Substanzen kommen könnte, ist wohl auszuschließen.
Als Fazit ist festzuhalten: Die Situation bleibt für Schmerzpatienten und an diversen anderen Leiden erkrankte, für die Cannabis ein probates Heil- und Linderungsmedikament darstellt, prekär. Sie auch weiterhin im Dickicht von Sozialrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht zappeln zu lassen, ist als gröbliche Verletzung der Menschenwürde und des Grundrechts auf körperliche und seelische Gesundheit anzusehen. Die Judikative hat dies höchstrichterlich erkannt, der Gesetzgeber verhält sich blind, und eine selbstherrliche Exekutive ignoriert es willkürlich.
Lorenz Böllinger (Okt. 2006)
Literatur
Böllinger, Lorenz / Burkhardt, Sven: MDMA: Das Recht auf Qualitätsbestimmung und therapeutischen Gebrauch. In: Neumeyer, Jürgen / Schmidt-Semisch, Henning: Ecstasy - Design für die Seele? Freiburg 1997 (Lambertus), S.217-245.
European Legal Database on Drugs, http://eldd.emcdda.org/
Grotenhermen, Franjo: Hanf als Medizin. Aarau 2004 (AT Verlag)
Int. Conference: International Conference on Medicinal Cannabis policy which was held in The Hague, the Netherlands, on 22 and 23 November 2001 on invitation of the Dutch
Health Ministry. Results: www.cannabis-med.org/Dutch_ICMC
Lauterbach; Guido: Richtig kämpfen für sein Medikament. WDR Feature, Sendedatum: 19.08.2006
[2] Beschluss v. 09.03.1994, vgl. BVerfGE 90, 145
[3] Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 24. Juni 2004, 3 Ss 187/03
[4] Pressemitteilung des BVG Nr. 60/2005 vom 12. Juli 2005
[5] Interessanter Weise vertritt auch die BfArM Direktorin und Leiterin der Bundesopiumstelle Dr. Carola Lander als Mitbearbeiterin des drogenpolitisch durchgängig höchst restriktiven BtM-Recht-Kommentars Hügel/Junge/Lander/Winkler: Deutsche Betäubungsmittelrecht. Kommentar. 8. Aufl. einschl. 3. Erg.-Lieferung: Stand: 2005 in § 3 RN.17 diese Meinung, obwohl sie für die strikte Ablehnungspolitik des BfArM zumindest mitverantwortlich sein dürfte.
[6] BTDrucks 13/3282, 15/2331; vgl. auch Körner: Kommentar zum BtMG, 5. Aufl. 2004, § 3 RN.58
[7] Unveröffentlichtes Manuskript 2002
[8] Vgl Grotenhermen 2004 mit umfassenden Forschungsnachweisen; EMCDDA 2002 mit weiteren Nachweisen; Int. Conference 2001.
[9] Zur Information: Dronabinol-Herstellung vgl. www.THC-Pharm.de; Interessenvertretung Ärzte und Patienten: AG Cannabis als Medizin: www.cannabis-med.org; Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.:www.dgschmerztherapie.de
[10] Betroffene können sie über die Internetseite «Hanfapotheke.de» kontaktieren.
[11] Ausführlich zu den entsprechenden strafrechtsdogmatischen Fragen: Böllinger/Burkhardt 1997